Liebe Besucher,
wie ihr vielleicht schon erahnen könnt, geht es heute um meinen zweiten Slumbesuch. Und ganz ehrlich: Es hat sich etwas in mir verändert. Mir wurde das erst jetzt wirklich bewusst. Das letzte Mal im Slum war vor fast vier Monaten, und in dieser Zeit ist so viel passiert. Ich kann es gar nicht richtig beschreiben, aber während ich beim ersten Mal geschockt, traurig und ständig in Angst war, ausgeraubt zu werden, war es dieses Mal ganz anders.
Letztes Mal hatte ich mein altes Handy dabei, habe ständig auf meine Tasche geachtet und war extrem angespannt. Heute bin ich viel entspannter durch das Slum gelaufen und habe viele Fotos gemacht. Ich will damit nicht sagen, dass es nicht immer noch traurig und beklemmend ist, aber ich konnte viel ruhiger und gelassener damit umgehen. Ich glaube, ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die in sehr prekären Verhältnissen leben.
Innerlich habe ich wohl auch meine Grenzen entwickelt, und ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber es hat sich weniger schockierend angefühlt als beim ersten Mal. Dieses Mal habe ich mit den Kindern Fußball gespielt, mit den Jugendlichen Gruppenfotos gemacht und einfach gechillt. Mit den Kleinen habe ich „Flugzeug“ gespielt. Das hätte ich vor drei Monaten nie gemacht, da mich die Angst damals blockiert hat.
Ganz ehrlich: Ich hatte Angst vor Krankheiten und vor Diebstahl. Ich war ständig bereit, mich zu verteidigen. Wer noch nie in solchen Gegenden war, kann dieses Gefühl vielleicht schwer nachvollziehen. Nach meiner ersten Slumtour war ich mental völlig fertig und habe Zeit gebraucht, um das zu verarbeiten, was ich gesehen habe.
Und jetzt? Es hat mir Spaß gemacht, mit den Kindern zu spielen und mit den Leuten zu sprechen. Mittlerweile kenne ich einige der Bewohner besser, habe mit ihnen schon oft geredet, und das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Dieses Mal war ich danach weder müde noch musste ich lange darüber nachdenken. Vielleicht liegt das daran, dass ich mittlerweile viele arme Gegenden erlebt habe und es für mich ein Stück weit zur Normalität geworden ist.
Ich glaube, alles ist eine Gewöhnungssache. Es ist völlig okay, wenn jemand sagt, dass es zu viel ist oder eine Grenze überschritten wird. Grenzen sind ein wichtiges Thema, das ich in Deutschland nie wirklich auf dem Schirm hatte. Man muss lernen, seine eigenen Grenzen zu erkennen und mit der Zeit mentale Barrieren aufzubauen, um die absolute Armut nicht zu nah an sich heranzulassen. Das ist wichtig, weil es einen sonst wirklich kaputt machen kann – das habe ich bei mir und anderen gemerkt, die das erste Mal im Slum waren.
Was bedeutet es eigentlich, im Slum zu leben?
Das Slum ist von außen gar nicht sichtbar. Es liegt versteckt in einem Tal hinter hohen Mauern. Kontakte sind hier das Wichtigste. Ohne Kontakte kann ein Slum sehr gefährlich werden – Raubüberfälle gehören dazu. Ich stelle mir oft die Frage: Was würde ich machen, wenn ich gar nichts hätte und irgendwie überleben müsste? Ich würde auch nach Geld betteln oder mir irgendeine Möglichkeit suchen.
Selbst unser Gastvater, der lange im Slum gelebt hat, geht dort nicht alleine hinein, weil es zu gefährlich ist – nur mit lokalen Kontaktleuten. Im Slum gibt es sogenannte „Slumlords“, die die Häuser kontrollieren. Wer nicht zahlt, wird von Gangs gewaltsam entfernt und bedroht. Das Leben im Slum ist gefährlich. Das Durchschnittsalter liegt bei 20 Jahren – nicht wegen Krankheiten, sondern wegen Kriminalität. Viele junge Menschen sterben durch Gewalt.
Mädchen werden oft schon mit 14 schwanger, und manche 30-Jährige sind bereits Großmütter. Es ist ein hartes Leben, bei dem es jeden Tag ums Überleben geht. Es ist schwer, das in Worte zu fassen. Erst wenn man selbst vor Ort ist, die Menschen sieht, die Gerüche riecht und die Lebensweise erlebt, wird man es wirklich begreifen.
Trotz der bitteren Armut waren die Kinder unglaublich glücklich. Ich schaue in ihre Gesichter und sehe strahlende Augen. Aber es ist auch erschütternd, zu sehen, wie sie im Dreck spielen – in einem dreckigen Fluss, der eigentlich alles andere als ein Spielplatz sein sollte. Auch dort wird geangelt, oft mit Methoden, die weit von der Sicherheit entfernt sind. Viele der Kinder, die ich gesehen habe, tragen die Spuren der schlechten Lebensbedingungen. Viele haben gesundheitliche Probleme, die durch Mangelernährung verursacht werden. Es gibt immer nur die gleiche, simple Nahrung, die ihnen zur Verfügung steht – kaum Abwechslung und oft nicht genug, um den Körper wirklich zu stärken.
Diese Sichtweisen und Erlebnisse tun weh und machen einen nachdenklich, aber sie gehören zur Realität dieser Menschen. Und dennoch sind die Kinder fröhlich, laufen lachend durch den Dreck, als ob es nichts anderes gäbe
Zum Abschluss möchte ich sagen:
Mir ist bewusst geworden, wie privilegiert wir durch unsere Geburt sind. Uns geht es gut, und das sollten wir uns immer wieder vor Augen führen. Ich hoffe, dass ich euch mit meinem Bericht zum Nachdenken anregen konnte. Vielleicht hilft es, manche Dinge in eurem eigenen Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten und wertzuschätzen, was man hat.
Wenn ihr Fragen zu meinen Erlebnissen habt, schreibt mir gerne. Ich erzähle euch gerne mehr.
Bis bald,
euer Robin